Nachdem wir im letzten Artikel unserer Serie die DORA-Gap-Analyse als komplexen datenreichen Anwendungsfall beleuchtet haben, möchten wir im vorliegenden Artikel auf den Vergleich von Versicherungsbedingungen (AVB1) als weiteren komplexen datenreichen Anwendungsfall generativer KI eingehen.
Wie bei der DORA-Gap-Analyse basiert auch der AVB-Vergleich auf der Logik der Verarbeitung mehrerer umfassender Dokumente mithilfe fachlich und technisch geeigneter Prompts. Der wesentliche Unterschied liegt in der Struktur der Dokumente: Die DORA-Richtlinie schreibt klar vor, welche Inhalte in einem IKT-Vertrag zu finden sein müssen. Vergleichbare Vorgaben gibt es bei AVBs nicht. Der Gesamtverband der Versicherer (GDV) stellt zwar Musterbedingungen2 bereit, diese sind aber für die Mitgliedsunternehmen lediglich als Orientierung gedacht und haben keinen verpflichtenden Charakter. Der Dokumentvergleich kann somit weder eine einheitliche Struktur noch eine ähnliche inhaltliche Logik voraussetzen – nicht bei den AVB-Generationen eines Versicherers und erst recht nicht bei Gegenüberstellung der AVBs unterschiedlicher Versicherer. Für einen KI-gestützten Bedingungsvergleich ist hierfür also eine Lösung zu finden.
AVB-Vergleich mithilfe generativer KI
Stellt man sich die Frage, wann ein Bedingungsvergleich sinnvoll ist, so kennen wir aus der Praxis mindestens folgende Fälle:
- Transparenz: Schaffen von Transparenz im Quervergleich von über die Jahre gewachsenen AVB-Dokumenten, beispielsweise für das Produktmanagement oder die Schadenregulierung.
- Konsolidierung: Konsolidierung nicht mehr verkaufsoffener AVB-Generationen, um Aufwände bei Beitragsanpassungen oder auch in Vorbereitung auf Systemablösungen zu reduzieren.
- Vertrieb: Erstellung vergleichender Übersichten zu Leistungsinhalten unterschiedlicher AVB-Versionen des eigenen Unternehmens oder auch des Wettbewerbs für Vertriebskanäle oder den vertriebsnahen Innendienst.
Die Basis für den Bedingungsvergleich manuell herzustellen, ist mühsam und aufwändig – gerade dann, wenn AVB-Inhalte, Aufbau und Struktur über viele Jahre gewachsen sind. Ein Produktmanager* müsste dafür alle relevanten Dokumente lesen, analysieren, vergleichen und Unterschiede wie Gemeinsamkeiten nachvollziehbar dokumentieren. Diese zeitintensive Tätigkeit ist nicht nur eintönig, sondern insbesondere auch fehleranfällig. Auch eine regelbasierte maschinelle Verarbeitung funktioniert nicht ohne enormen Aufwand zur Erstellung eines umfassenden Wenn-Dann-Regelwerks. Dagegen kann generative KI große Textmengen ohne Regelwerk schnell verarbeiten und bietet damit enormes Potenzial, nicht nur Kosten und Arbeitsaufwand, sondern auch die Monotonie bei AVB-Vergleichen signifikant zu reduzieren.
Sicherstellung hoher Präzision bei Vergleichen
Natürlich ist es heutzutage möglich, AVB-Dokumente in ein Sprachmodell wie ChatGPT zu laden und um Ermittlung der Unterschiede in diesen Dokumenten zu bitten. Jedes Sprachmodell wird sodann ein Ergebnis produzieren, bei Bedarf auch in Tabellenform. Unklar bleibt jedoch, inwieweit diese Tabelle vollständig ist oder inwieweit Fachvokabular richtig interpretiert wurde. So können Obliegenheiten nach Eintritt eines Schadens nicht mit Obliegenheiten vor Eintritt eines solchen verglichen werden. Vollständigkeit und richtige Interpretation von Fachvokabular sind allerdings in den drei genannten Szenarien Transparenz, Konsolidierung und Vertrieb zwingend notwendig.
Um zu einer solchen Präzision zu gelangen, braucht es tieferes fachliches wie technisches Verständnis – und eine Methodik, welche die besonderen Herausforderungen dieses komplexen Anwendungsfalls berücksichtigt:
- AVB-Dokumente sind in ihre einzelnen Absätze zu zerlegen, damit technisch sichergestellt werden kann, dass jeder dieser Abschnitte in einem Vergleich abgeprüft wird.
- Der Prompt, als Anweisung an das Sprachmodell, erfordert versicherungsfachliche Kontextinformationen, um eine präzise und korrekte Antwort zu gewährleisten und zu vermeiden, dass unbeabsichtigt irrelevante oder nicht vergleichbare Informationen miteinander verknüpft werden.
Die Erfahrung zeigt, dass gerade ältere AVB-Dokumente zu nicht mehr verkaufsoffenen Tarifgenerationen mitunter nur noch in PDF-Formaten vorliegen. Ist dies der Fall, müssen die Dokumente zunächst in ein strukturiertes, maschinenlesbares Format konvertiert werden. Hierfür gibt es am Markt einige gängige Tools. Jedoch ist stets auf eine einwandfreie Konvertierung oder Weiterverarbeitung zu achten, um eine qualitativ ausreichende Basis für den KI-basierten Vergleich herzustellen. Jeder AVB-Abschnitt wird sodann mit mehreren aufeinanderfolgenden Prompts analysiert, um wesentliche Unterschiede in der Versicherungsdeckung der zu vergleichenden AVB-Versionen zu erkennen und zu bewerten. In einem iterativen Prozess werden die produzierten Ergebnisse überprüft und so lange angepasst, bis die gewünschte Qualität erreicht ist. Genau an dieser Stelle ist die enge Zusammenarbeit von technischen und fachlichen Experten entscheidend, damit beispielsweise Prompts den erforderlichen fachlichen Kontext erhalten und gleichzeitig von generativer KI verarbeitbar bleiben. Eine solche Kollaboration ist geprägt von sehr häufigen Interaktionen in kurzen zeitlichen Abständen, vergleichbar mit einem intensiven agilen Setting.
Notwendigkeit des richtigen fachlichen Kontexts
Die Notwendigkeit des richtigen fachlichen Kontexts lässt sich anhand des folgenden Beispiels aus der Kfz-Versicherung veranschaulichen: Kfz-Versicherungsbedingungen (AKB) beinhalten in der Regel Elemente zur Kfz-Haftpflicht- und zur Kfz-Kaskoversicherung, gegebenenfalls noch ergänzt um Kfz-Unfallversicherungen oder andere ergänzende Absicherungsformen. Die Kaskoversicherung nennt man bisweilen auch Fahrzeugversicherung. Steht nun in einem AKB-Dokument der Begriff Kaskoversicherung und in der AKB-Version, die damit verglichen werden soll, der Begriff Fahrzeugversicherung, interpretiert generative KI dies zunächst als zwei unterschiedliche Versicherungsprodukte. Die KI meldet dann folgerichtig zurück, dass kein Vergleich möglich ist, weil eben keine identischen Produkte vorliegen. Wird hingegen im Prompt hinterlegt, dass beide Begriffe synonym sind, dann wird der Vergleich anstandslos durchgeführt.
Weitere Vorarbeiten zur Gewährleistung hoher Ergebnisqualität
Will man bei hoher Präzision des AVB-Vergleichs eine gute Qualität des Ergebnisses erreichen, ist auch die Qualität des Inputs in Form der AVB-Dokumente zu analysieren. Generative KI versteht Sprache, braucht zum Erstellen von Vergleichen aber nicht nur maschinenlesbare Inhalte, sondern auch eine Struktur, anhand derer sie AVB-Inhalte gegenüberstellen kann. An dieser Stelle kommt es insbesondere auf eine stringente Gliederungs- oder Überschriftenlogik der AVB an. Ist diese vorhanden, produziert generative KI schnell sehr gute Ergebnisse. Fehlt sie, empfiehlt es sich, Gliederungslogiken manuell nachzuziehen, ehe Vergleiche angestellt werden.
Auch hierzu wollen wir zwei greifbare Beispiele anführen:
- Generative KI ignoriert Formatierungen: Befinden sich Überschriften in kursiver Schrift vor der eigentlichen Abschnittsnummerierung, wird der Inhalt der Überschrift dem vorigen Abschnitt zugeordnet. Dies kann das Vergleichsergebnis verzerren, da generative KI Inhalte falsch zuordnet.
- Generative KI trackt die Historie: Werden Abschnitte mit 1, 1.1, 1.1.1 usw. nummeriert, ist klar, welche Überschrift auf welchem Level zu verorten ist. Fehlt eine solche Logik oder werden Überschriften in Fettdruck ohne Nummerierung genutzt, ist es nicht möglich, einzelne Abschnitte in den Gesamtkontext einzuordnen, was ebenfalls zu einer Verzerrung des Ergebnisses führt.
Komplexe datenreiche Anwendungsfälle in der Übersicht
Mit der DORA-Gap-Analyse im dritten Artikel und dem Bedingungsvergleich in diesem Artikel unserer Reihe haben wir zwei komplexe datenreiche Anwendungsfälle beleuchtet. Wir wollen sie abschließend einander gegenüberstellen und auf einige Differenzierungskriterien eingehen:
Kriterium |
DORA-Gap-Analyse |
Bedingungsvergleich |
Input |
Mehrere IKT-Verträge, DORA-Verordnung |
Mehrere AVB eines einzigen Versicherers oder verschiedener Versicherer |
Struktur des Inputs |
Einheitliche Struktur gemäß DORA-Anforderungen |
Unterschiedliche Strukturen, keine klare Vorgabe |
Einsatzmethodik der KI |
Iterativer Entwicklungsprozess eines Prompts |
Iterativer Entwicklungsprozess mehrerer Prompts |
Output |
Compliance-Bericht mit Bewertung des DORA-Erfüllungsgrads |
Vergleichsübersichten mit Bewertung der Kritikalität von Unterschieden |
Anwendungsziele |
Prüfung auf DORA-Compliance |
Transparenz, Konsolidierung, Vergleich von Leistungsinhalten |
Notwendige Vorarbeiten |
Konvertierung in maschinenlesbares Format, Regelidentifikation |
Konvertierung in maschinenlesbares Format, Nachstrukturierung, Anlage einer Gliederungslogik |
Herausforderungen |
Sicherstellung von Vollständigkeit der DORA-Compliance-Prüfung |
Sicherstellung von Vollständigkeit wie auch korrekter Interpretation von Versicherungsbedingungen |
Vorteil des KI-Einsatzes |
Reduktion von manuellem Aufwand, Kosten und Fehleranfälligkeit |
Reduktion von manuellem Aufwand, Kosten und Fehleranfälligkeit |
In unserem nächsten Artikel werden wir das Spielfeld über komplexe datenreiche Anwendungsfälle hinaus erweitern und uns Automatisierungsmöglichkeiten mithilfe generativer KI widmen. Während sie in unseren bisherigen Artikeln als eine Art Arbeitsunterstützer/-vorbereiter agierte, nimmt KI mit Blick auf Automatisierung zunehmend die Rolle eines umsetzungsfähigen Assistenten ein. Mehr dazu erfahren Sie in Kürze!
Wenn Sie entdecken möchten, wie generative KI in Projekten eingesetzt wird, um monotone manuelle Aufgaben zu lösen, kontaktieren Sie uns gerne. Erfahren Sie ebenfalls, wie verschiedene Anwendungsfälle generativer KI ganz praktisch umgesetzt werden können.
* Diversity gehört zu den Kernwerten von Capco. Um Texte für Sie so kurz wie möglich zu halten, lesen Sie an einigen Stellen nur die männliche Form, gemeint sind jedoch ausdrücklich sämtliche Geschlechter.
References
1 Wir nutzen im Folgenden vereinfacht „AVB“, worunter alle Arten allgemeiner Versicherungsbedingungen zu verstehen sind, also auch Kraftfahrtbedingungen (AKB) oder Rechtsschutzbedingungen (ARB).
2 Siehe GDV-Musterbedingungen, aufgerufen am 26.11.2024.