AUCH OHNE EINHEITLICHEN ESG-STANDARD: NACHHALTIGE FINANZIERUNG IST GEFRAGT!

AUCH OHNE EINHEITLICHEN ESG-STANDARD : NACHHALTIGE FINANZIERUNG IST GEFRAGT!

  • Philipp Kaufmann, Christoph Schupp
  • Published: 11 December 2020


Das Thema Nachhaltigkeit ist in breiten Teilen der Gesellschaft angekommen – und auch in der Finanzwirtschaft. Gemessen an den ESG-Faktoren Umwelt, Soziales und Unternehmenssteuerung (Environmental, Social, Governance), spielt neben der nachhaltigen Geldanlage auch die nachhaltige Finanzierung eine immer größere Rolle. 

Deswegen haben wir Nachhaltigkeit dieses Jahr auch in unsere umfangreiche Studie zur Digitalisierung des Kreditgeschäfts integriert. Und damit einen Nerv getroffen, wie sich gezeigt hat. Denn fast die Hälfte der befragten Bankkunden gab an, dass ihnen die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten beim Thema Kredit wichtig ist. Jedoch bieten nur 40 % der rund 100 von uns befragten Banken im deutschsprachigen Raum schon heute nachhaltige Kredite an. 

Viele Institute lassen also einerseits großes Geschäftspotenzial ungenutzt. Darüber hinaus könnten sie mit der Vergabe nachhaltiger Kredite aber auch zur Neuausrichtung der Wirtschaft und damit indirekt zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens beitragen. 

 

Welche Produkte fördern nachhaltige Finanzierung?

Mit der Popularität des Themas ist nicht nur das Gesamtvolumen der Neuemissionen pro Jahr gestiegen, auch die Produktvielfalt für nachhaltige Finanzierungen wächst. 
Aktuell lassen sich nachhaltige Produkte in drei übergeordnete Gruppen zusammenfassen: 

1. Green Finance: Finanzierung von Projekten mit einem positiven ökologischen Einfluss

2. Social Finance: Sozialer Nutzen steht bei der Mittelverwendung im Vordergrund   

3. Sustainable Finance: Investitionen in Nachhaltigkeit im Sinne der drei ESG-Faktoren

Green Finance stellt den größten der drei Märkte dar, während Green Bonds die am meisten genutzte Finanzierungsform sind, gemessen am Volumen der Neuemissionen. Laut Bloomberg machten diese 2019 mit 271 Mrd. USD gut 58 % des weltweiten Gesamtmarktes für nachhaltige Finanzierungen (465 Mrd. USD) aus. Gegenüber dem Vorjahr 2018 bedeutet das ein Wachstum von 49 %1. Ein anderes Finanzierungsinstrument, das 2019 ein beeindruckendes Wachstum hingelegt hat, sind sogenannte »Sustainability-Linked Loans« (SLL). Hier stieg das weltweite Neuemissionsvolumen um 168 % auf 122 Mrd. USD, womit der Marktanteil auf 26 % wuchs1

Die bedeutendsten Unterschiede dieser zwei am meisten verbreiteten nachhaltigen Finanzierungsformen bestehen in der Mittelverwendung und den Kreditkonditionen. Während bei Green Bonds die Erlöse ausschließlich für Projekte mit ökologischem Nutzen eingesetzt werden dürfen, gibt es bei den SLL keine direkten Vorgaben für die Mittelverwendung. Bei SLL wird mit den von der ESG-Performance des Gesamtunternehmens abhängigen Kreditkonditionen ein finanzieller Anreiz geschaffen, bestimmte Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Im Fall der Green Bonds dagegen sind die Kreditkonditionen vorab fix vereinbart. 

 

Welche Nachhaltigkeits-Richtlinien gibt es schon?

Banken können mithilfe von SLL als Finanzierungs- und Steuerungsinstrument ihr Kreditportfolio nachhaltiger aufstellen. Wie aus den Nachhaltigkeitszielen vieler Banken hervorgeht, spielt die Neuausrichtung des Finanzierungsgeschäfts dabei eine zentrale Rolle. Um diesen Prozess transparent und vergleichbar zu machen, wären aber allgemeingültige Vorgaben nötig. 

Zurzeit gibt es keine verbindlichen Standards zur Klassifikation nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten oder Regelungen zur Vergabe und Kontrolle nachhaltiger Kredite. Das erschwert die Akzeptanz, die Transparenz und das weitere Wachstum dieser Finanzierungsformen. Und es besteht das Risiko, dass sie, wenn überhaupt, nur zum »Greenwashing« des Unternehmens-Images verwendet werden. 

Dennoch sind in der jüngeren Vergangenheit einige freiwillig anwendbare Richtlinien entstanden. Im März 2019 hat beispielsweise die Loan Market Association (LMA) die »Sustainability Linked Loan Principles« veröffentlicht und im Mai 2020 um einen Leitfaden ergänzt2,3. In diesen Dokumenten werden ESG-Kredite anhand von vier Kernelementen charakterisiert, um einen allgemeinen Standard zu schaffen: 

  1. Ein Kreditnehmer muss eine klare Corporate Social Responsibility-Strategie verfolgen und kommunizieren, die mit den allgemeinen Unternehmenszielen korrespondiert. 
  2. Diese Strategie wird anhand von zwischen dem Kreditgeber und Kreditnehmer im Vorhinein vereinbarten Nachhaltigkeitszielen quantifiziert. Die Kreditkonditionen sind dann an die Erreichung dieser Ziele gekoppelt. 
  3. Mindestens jährlich sollte über den aktuellen Stand der gesetzten Nachhaltigkeitsziele berichtet werden, am besten öffentlich und auf Grundlage des Standards der Global Reporting Initiative (GRI).
  4.  Zur unabhängigen Revision sollte ein externer Dritter hinzugezogen werden, alternativ kann dieser Prozess auch durch eine spezialisierte interne Abteilung durchgeführt werden, sofern zwischen den Kreditparteien vereinbart. 

 

 

Verordnungen für die EU

Mit der Taxonomie-Verordnung stellt auch die EU allgemeine Rahmenbedingungen zur Bestimmung ökologisch nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten. Darin sind sechs Umweltziele definiert, und es gibt vier Kriterien, die erfüllt werden müssen, damit eine wirtschaftliche Aktivität als nachhaltig angesehen werden kann. Allerdings beschränkt sich die EU-Taxonomie in ihrem Anwendungsbereich ausschließlich auf die Umwelt – die Faktoren Soziales und Unternehmensführung fehlen für eine umfassende Nachhaltigkeitsdefinition. Die Verordnung wurde im Juni 2020 veröffentlicht, ist im Juli 2020 in Kraft getreten und ist ab dem Jahr 2022 anzuwenden4.  

Auch die Aufsichtsbehörden haben sich verstärkt mit Nachhaltigkeitsthemen beschäftigt. So hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) im Mai 2020 in ihren Richtlinien zur Kreditvergabe und -kontrolle Anforderungen an Kreditinstitute gesetzt, um ESG-Faktoren und die damit verbundenen Risiken zukünftig in ihre Kreditrisikobereitschaft einzubeziehen (sowie in die Richtlinien und Prozesse im Risikomanagement). Damit sollen die Institute die Auswirkungen von ESG-Faktoren auf die finanzielle Situation der Kreditnehmer berücksichtigen. Hervorgehoben wird hier ein ganzheitlicher Ansatz bei der Vergabe und Überwachung nachhaltiger Kredite5.

Darüber hinaus hat auch die BaFin ein Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht, und die EZB einen Leitfaden zur Steuerung und transparenten Offenlegung von Klima- und Umweltrisiken6,7


Worauf es jetzt ankommt

Aus den verschiedenen freiwilligen Richtlinien und den bankeneigenen Definitionen muss sich im nächsten Schritt nun ein Konsens etablieren: über Normen, Ratings und eine Best Practice für nachhaltige Finanzierungsprozesse. 

Zum einen muss das Wachstum gefördert werden, da der Bedarf an nachhaltigen Investitionen gewaltig ist (um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, werden bis 2030 allein in der EU jährlich 180 Mrd. EUR benötigt8); setzen Banken die Richtlinien rasch um, bietet ihnen das aber auch wirtschaftliche Chancen. Gleichermaßen werden auch die Investoren der Banken vermehrt auf die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells achten und dies einfordern. Zum anderen wird durch einheitliche Standards und Klassifikationen »Greenwashing« verhindert und das Wachstum der nachhaltigen Finanzierungsformen weiter gefördert. Die LMA hebt neben der Verwendung von sinnvollen und ambitionierten Nachhaltigkeitszielen auch die transparente Überprüfung und Berichterstattung als Schlüsselaspekte hervor3

Trotz der bevorstehenden Hürden sind laut unserer aktuellen Studie fast 80 % der befragten Banken der Meinung, dass die Bedeutung von ESG-Kriterien im Kreditgeschäft künftig zunehmen wird. Welche anderen Angaben die Befragten zum Thema Nachhaltigkeit im Kreditgeschäft (und zahlreichen anderen) gemacht haben, können Sie übrigens gern im Detail in unserer Studie »Kreditmanagement im Wandel der Digitalisierung 2020« nachlesen.

Sie möchten mehr darüber erfahren, welche Erfolgspotenziale sich durch nachhaltige Finanzierungsangebote für Ihr Institut ergeben? Dann nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf – wir sind für Sie da.


Ihr Ansprechpartner

Oliver Geiseler, Partner
M +49 172 131 8328
E Oliver.Geiseler@capco.com


Quellen

1 Bloomberg, https://about.bnef.com/blog/sustainable-debt-sees-record-issuance-at-465bn-in-2019-up-78-from-2018/, zuletzt aufgerufen 10.12.2020
2 LMA, Sustainability Linked Loan Principles, zuletzt aufgerufen 10.12.2020
3 LMA, Guidance on Sustainability Linked Principles, zuletzt aufgerufen 10.12.2020
4 EUR-Lex, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32020R0852&from=EN, zuletzt aufgerufen 10.12.2020
5 EBA, Guidelines on loan origination and monitoring,  zuletzt aufgerufen 10.12.2020
6 BaFin, Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, zuletzt aufgerufen 10.12.2020
7 EZB Bankenaufsicht, https://www.bankingsupervision.europa.eu/press/pr/date/2020/html/ssm.pr200520~0795c47d73.de.html, zuletzt aufgerufen 10.12.2020
8 Europäisches Parlament, Wie können grüne Investitionen gefördert werden, zuletzt aufgerufen 10.12.2020

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